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Jacno (1957 - 2009)

»A cigarette is the perfect type of a perfect pleasure.
It is exquisite, and it leaves one unsatisfied. What more can one want?«
(Oscar Wilde: Picture of Dorian Gray, Chapter 6)

Er sah unverschämt gut aus, mit einem darum wissenden Lachen auf den Lippen, in den Augen, 99 Pfund auf den Rippen, eine Zigarette in der Hand, die langen Beine in dem knallengen Paar Röhrenjeans. Er sah unverschämt gut aus, mit seinen blonden Haaren, lässig zur Seite gescheitelt. Natürlich hatte er sein Dinner mit Andy W., der berüchtigt dafür war, süsse blondgescheitelte Jungs abzuschleppen.

Er war Popmusiker und sah nicht einfach nur gut aus, wie es so viele französische Popmusiker tun, die dann doch nur müde Angloamerikanischen Pop kopieren, nein, denn er hatte einen Song geschrieben. Und ein Song reicht bekanntlich. Dieser hiess »Rectangle«.

»Rectangle« sollte Jacno zum Model für eine neue Art von Chanson werden, für seine Art des Chansons. Aber jetzt, 1979, brauchte er keine Worte, es war genug gesagt. »Rectangle« war ein Statement. Von einfacher Struktur, von warmen und modernem Klang, klar und elektronisch, eine unterschwellige Euphorie melancholisch verpackt. Der Song wurde dank Olivier Assayas ein veritabler Hit, einen Sommer lang die Nesquik Hymne und die Blaupause zum bis heute unangefochtenen größten französischen Popsong: Lios »Amoureux Solitaire«.

Am 3. Juli 1957 als Denis Quillard geboren, wuchs Jacno in einer bohemistischen Pariser Familie mit schillernder Vergangenheit auf. Er kriegte seine Klassikstunden, lernte Flötespielen und in frühester Pubertät das Kettenrauchen. So kam er zu seinem Namen: Marcel Jacno war der Grafiker, der das Gauloises Logo gezeichnet hatte, den beflügelten gallischen Helm.

Der Legende nach stolperte Jacno Mitte der 70er auf einer Demonstration einem Mädchen vor die Füsse, die berüchtigt dafür war, süsse blondgescheitelte Jungs abzuschleppen. Elli Medeiros hiess sie, sie war mit ihrer Mutter aus Uruguay nach Paris gekommen. Sie sah selbst aus wie ein Popstar. Und die Dinge nahmen ihren Lauf.

Jacno machte zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren Musik, aber jetzt mit Elli gründete er die Stinky Toys. Sie waren vermutlich die erste kontinentale Punkband, und sie waren dabei, 1976 im 100 Club in London. Nach einem Melody Maker Cover, 2 Langspielplatten und ein paar Skandalen, aber doch eher mässigem Interesse in der Republique, löste Jacno die Band 1979 auf.

Punk wollte er eh nie sein, sagte er; aber die französische Ausgabe seiner großen Vorbilder, Rolling Stones oder The Who, zu erschaffen, schien ihm wohl auch immer illusionärer. So schloss er sich mit einem Haufen Synthesizer ein und erfand auf dem Label Celluloiud den Elektropop für Frankreich. Er arbeitete weiter mit Elli als Elli & Jacno. Sie schrieb eher die Texte, er komponierte eher die Musik.

Wenn die Massen auf sie auch eher irritiert reagierten, so waren die Stinky Toys doch eine artists' band. Fans der ersten Stunde waren Designer wie Jean-Charles de Castelbajac oder der eben der Regisseur Olivier Assayas: er verwendete »Rectangle« als Soundtrack für sein Frühwerk »Copyright«; er drehte zwei Videos für Jacno, und er verpflichtete Elli als Darstellerin in seinen ersten drei Filmen.

Auch Etienne Daho, Daniel Darc oder Mathematics Modernes zählten zur Gefolgschaft der Stinky Toys; ihnen sollte Jacno dann seine unverwechselbare Mischung aus Chanson und BubblegumPunk-turns-to-Synthiepop auf den Leib produzieren. Der kommende belgische Uberstar Lio wollte nach ihrer ersten Single »Banana Split« Stinky Toys »Lonely Lovers« covern - zum Leidwesen ihrer Plattenfirma. »Amoureux Solitaires« wurde zum internationalen Millionenhit. Und damit lernte man selbst an Düsseldorfer Gymnasien Französisch.

Elli und Jacno waren für ein Jahrzehnt das it-couple de Paris, die Jacques Dutronc - Françoise Hardy des New Wave. Ihr erstes Album »Tout va sauter« knackte 1980 die Top Ten, ihre letzte Produktion war 1984 der Soundtrack zu Éric Rohmers Les nuits de la pleine. Privat gingen sie da schon getrennte Wege. Sie blieben sich allerdings freundschaftlich verbunden, nicht alleine deshalb, weil sie ein gemeinsames Kind haben. Elli hatte im Verlauf der 1980er drei weitere große Hits: »Toi Mon Toit«, »A Bailar Calypso« und »Bom Bom«. Ihr musikalischer Output wurde über die Jahre sporadischer, sie verlagerte den Schwerpunkt ihres Wirken hin zur Schauspielerei - bis heute spielte sie in über 30 Filmen.

Jacnos weitere Karriere verlief eher ruhig. Er arbeitete als Produzent und veröffentlichte alle paar Jahre ein Soloalbum. Mal elektronischer, mal rockiger. Er kollaborierte mit Françoise Hardy, Pauline Lafont, Les Valentins, Helena Noguerra, Thomas Dutronc, Paul Personne, mit der dreifachen Beauty Queen Mareva Galanter, selbst mit Françoise Cactus. Er war ein Pariser Lebemann, schrieb humorvolle Chansons und wurde dafür von der Kritik geliebt und von seiner Fanbase verehrt; an die großen Erfolge Anfang bis Mitte der 1980er konnte er aber nicht wieder anknüpfen, und nach jeder Veröffentlichung musste er sich ein neues Label suchen. Sein 1995er Album »Faux Témoin« wurde von Etienne Daho produziert; die Verhältnisse hatten sich gedreht, Daho hatte ihn kommerziell wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung als Figur eines neuen Chanson längst überholt. In den Nuller Jahren war Jacno ein paar mal als Darsteller im Kino zu sehen - davon alleine dreimal in der Rolle eines Vaters. Auf Ellis Medeiros 2006er Album »E.M.« schliesslich konnte man drei Elli & Jacno Kompositionen finden: »More Than Me«, »For You« und... »Lonely Lovers«; das Video zu »For You« drehte Olivier Assayas.

In der Nacht vom 5. auf den 6. November 2009 ist Jacno in Paris verstorben. Der beflügelte gallische Helm hatte sein Tribut gefordert.

Literatur: Jacno, itinéraire du dandy pop. Entretiens avec la collaboration d'Albert Algoud, Paris: Éditions du Rocher, 2006.

 

Organdy 1, Dezember 2009

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