WORDS:
Baal & Mortimer, The Torso Tapes 2020, Zu den Gedichten von Seda Mimaroğlu 2020 (d+e), Hanna Frenzel — Ich bin ja eine verdammte Träumerin. 2020 (d+e), Hendrik Krawen — Der angebrochene Tag 2020, Kira Bunse — Traveling Light 2019.

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Baal & Mortimer The Torso Tapes (italic ITA 117)


Keine Arme,
keine Beine,
keinen Kopf. Verletzt, verbunden.
Ein Rumpf getapet.
Bewegt sich
Durch lichten Nebel, ein helles
Licht, nicht zu gleißend
Hinzu.

Habe ich etwas verloren über die Zeit
Wurde mir etwas genommen
Oder wurde es mir nie gegeben
Aber bin ich nicht genauso wie ich bin
Ein Ganzes?

Bewegt sich
Ein paar Stufen hinauf
Hinab, öffnet sich die
Tür,
Wo sie tanzen,
Musik
Und tanzt, mit anderen,
Torsi.

Baal & Mortimer sind Meister der Verführung. Sie bezaubern uns, nehmen uns an der Hand und mit auf eine Reise durch Kontinente, Zeiten und Zeitalter. Alles ist ihnen Jetzt. Alles ist ihnen verfügbar. Sie klappen Epochen und Landschaften nach oben, Kulturen, Sprachen, Farben, ins Senkrechte, und verwirbeln sie, aber alles bleibt in Bewegung und durchscheinend.

Wir können die Schichtungen durchblättern, durch sie tunneln, werden jedes Mal aufs Neue an einem neuen Ort auftauchen. Die Stimme lockt uns, sie ist sehnsüchtig, die Stimmung melancholisch, die Instrumentierung immer wieder vertraut, Erinnerungen, Erlebtes, dann wieder neu, befreiend, nach vorne weisend.

Klänge, die die Anmutung von volkstümlichen Instrumenten atmen, Horn und Blasebalg, Dudelsack und Flöte, Klavier, Wasserorgel und Fidel. Ein Rauschen wie von Wind, der warm Findlinge umspielt. Von schräg drängt eine Regenfront ins Bild, Sägeblätter harken sich ein. Pizzicatos, Geister auf Reisen umschweben uns, Celli kratzen, Violinen schweben, ein übersteiger, ein Anschwellen, und manchmal hält uns ein stoisches Trommeln in entspanntem Tempo.

Der Gesang ist mehrstimmig geschichtet, orchestral, moduliert harmonisch, umgarnt die Instrumente und schmiegt sich selbst als solches in die Musik ein; die Worte, wiederholt, zerdehnt und dann wieder gekrümmt, sie folgen einer musikalischen Logik, man kann sich ihnen hingeben, fallen lassen, vertrauensvoll, oder ihnen nachfolgen, versuchen, ihnen auf die Spur zu kommen: und lernen, wie sie in All Sons of Adam — Kain und Abel, Set und zahllose weitere in 930 Jahren — vom Versagen sprechen, in Aegis Lift von Widerstand, in Vials von Zeitlichkeit erzählen oder — im den Rumpf mehrsprachig bekrönenden Couronnement — von Hoffnung.

Baal & Mortimer ist ein Spiel von exzentrischem Folk — aus einer abgeschlossenen Zukunft, einem Canterbury des 23 Jahrhunderts.

Baal & Mortimer sind Meister der Verführung, sie bezaubern uns, sie kommen uns ganz ganz nahe, umtanzen uns und tanzen mit uns, umarmen uns, und bieten den schönsten Trost.

Alexandra Grübler wuchs in Düsseldorf auf und lebt in Berlin wo sie als Baal & Mortimer musikalisch und sprachlich an Fragen von Autonomie Widerstand Körper und Subjekt forschen. Auf das 2020er Debutalbum Deixis (Bureau B) folgt nun auf italic die EP The Torso Tapes (April 2021). Acht neue Stücke darunter zwei kurze instrumentale Zwischenspiele. Mit Stimme von M Casey auf Couronnement und Schlagzeugspiel von George Thompson auf Aegis Lift. Gemastert von Rupert Clervaux. Design von Laura Catania unter Verwendung von Fotografie von Jelly Luise.

 


Zu den Gedichten von Seda Mimaroğlu


» — Man war darüber einig, daß die wirklichen Erscheinungen im Leben
oft viel wunderbarer sich gestalteten, als alles, was sich die regste
Phantasie zu erfinden trachte.«

(E.T.A. Hoffmann, Das öde Haus, Berlin 1817)

Von hinten beleuchtet ein Regal, Bücher sortiert nach eigener Geometrie, nach eigenem Alphabet, eine folkloristische Webarbeit. Malerei an den Wänden, Teppiche auf dem Boden, auf der Couch, auf dem Tisch. Von draussen die Straße, Autos freundlich lärmend und Sonne grell.

Auf dem Tisch ein Stapel leuchtend weissen Papiers, eine Anordnung an Maschinen, ein Bogen ist in jede eingespannt, wir sind bereit, sagen sie, verstreut einzelne Blätter, beschrieben, Entwürfe, Zeilen durchgestrichen, korrigiert, Überarbeitungen, abgetippt, dazwischen ein paar geordnet, für gültig erklärt, kopiert, zu kleinen Heften vernäht.

»Wir strecken den Arm aus, jedoch er trifft auf nichts. MAN hat die Welt
unserem Zugriff entzogen, MAN hat sie ausserhalb unserer Reichweite plaziert.«

(Tiqqun, Theorie vom Bloom, Zürich/Berlin 2003)

Ihr Maschinenschreiben ist kein Ausdruck sanfter Exzentrik. Es ist ein Beharren auf anderer Arbeit und anderem Arbeiten. Zum Festhalten eines losen Gedankens lässt sie Computer oder Telefon gelten. Wortvervollständigung und Autokorrektur dagegen blockieren ihre Idee von Poesie. Die Maschine trägt eine andere Körperlichkeit, und das Arbeiten an ihr verlangt nach einer anderen Körperlichkeit: der Prozess des Schreibens bevor der Gedanke manifest wird. Der Widerstand der Tasten, der Druck auf den Fingerkuppen, das mechanische Umbrechen der Zeilen, jedes Wort zählt.

»'What makes you happy?', I asked.
— 'If I order coffee and am served tea.' «

(Kreidler, Appearance and The Park, Hamburg 1998)

Ein Spiel. Situationen.

Situationen, in die sie sich begibt, oder hineingeschubst wurde, freundlich zumeist, sich dann umdrehend. Weniger ein Suchen, als ein Empfangen, als ein Finden. Ein System. Flatterndes Licht auf Buchstaben. Ein Kribbeln unter der Haut. Sie ist eine genaue Beobachterin. Inspektion löst Introspektion ab.

Sie bewegt sich im Raum. Ihre Augen huschen über das Diorama, über Körper, ihre Beziehungen zu— und untereinander, ein Aufzeichnungsprozess, speichern, zwischenspeichern, für ein späteres Besuchen, Wiederaufsuchen, sich erneut unter die Gruppe mischen, später, wenn es draussen dunkelt oder der Tag anbricht; dann senden sie Signale, die ausgeruhten Gedanken hinter geschlossenen Lidern, und ihre Finger tanzen über die Tasten.

Ein Lichtspiel. Reflektionen.

Im Arbeiten an der Schreibmaschine verläßt sie ein Stück weit die Unmittelbarkeit, öffnet sie sich einen Möglichkeitsraum an Abstrahierung, den sie im Schreiben in einer von ihr gewählten Sprache erweitert: die große Mehrzahl ihrer Gedichte entsteht auf englisch.

Manchmal ist da ein Wort in deutsch eingestreut, ihre Verkehrssprache, manchmal eines auf türkisch, ihre Muttersprache, manchmal auf französisch, auf arabisch. Man mag darin ein Ringen um Präzision lesen, aber eigentlich spricht daraus Elastizität. Es ist ein Reigen, das Fremdwort wird zum Dorn, um den sich das gerahmte Bild dreht. Und natürlich weiss sie, wenn es sich richtig anfühlt, dann ist es auch richtig.

Ihre Gedichte sind nie Übersetzungen, wo sie auf englisch schreibt, da denkt sie auf englisch. Ein Übertragen schon, aber weniger von Sprache, weniger von Worten denn von Empfindung und von Haltung. Es ist ein geschmeidiges Voranschreiten, Zeile fließt in Zeile, das Widerborstige ist ihre Sache nicht, und sie greift nicht an, das hat nichts von Passivität und keine Form von Resignation, im Gegenteil, sie sieht im Schatten das Licht, es ist ein freudiges Aufnehmen, und wo sie ein Dagegen formuliert, da als Frage.

Worte perlen, Begegnungen in geschlossenen Räumen, eine Leichtigkeit im Ausdruck, oder in der Sonne, Teppiche, lärmend, manchmal eine schwebende Melancholie, manchmal eine leise Nachdenklichkeit, vielleicht eine Farbe von Trauer, auf der Straße, Lichtspiele, an der Tür, ein Klingeln, eine Melodie, löst es auf, löst sich auf, Schmetterlinge vielleicht, spielt sich nur im Kopf ab, tritt dann doch raus, jemand schubst, aber freundlich, sie dreht sich um, ein Spiegel, von hinten beleuchtet, eine Projektion nach eigener Geometrie: Momentaufnahmen, die sich fest eingebrannt haben, und die sie doch so beweglich hält.

On the poetry of Seda Mimaroğlu

» — Man war darüber einig, daß die wirklichen Erscheinungen im Leben
oft viel wunderbarer sich gestalteten, als alles, was sich die regste
Phantasie zu erfinden trachte.«

(E.T.A. Hoffmann, Das öde Haus, Berlin 1817)

A shelf illuminated from behind, books arranged according to an own geometry, according to an own alphabet, a vernacular tapestry. Paintings on the walls, carpets on the floor, on the couch, on the table. From outside the street, autos amiable clamorous and the glaring sun.

On the table a stack of bright white paper, an array of machines, a sheet is clamped in each, we are ready, they say, individual sheets scattered, written on, drafts, lines crossed out, corrected, revisions, typed, a few in between arranged, validated, copied, sewn into little booklets.

»Wir strecken den Arm aus, jedoch er trifft auf nichts. MAN hat die Welt
unserem Zugriff entzogen, MAN hat sie ausserhalb unserer Reichweite plaziert.«

(Tiqqun, Theorie vom Bloom, Zürich/Berlin 2003)

Her typewriting is not an expression of meek eccentricity. It is an insisting on a different kind of work and a different kind of working. To record a loose thought, she permits the computer or the mobile device to do the job. Though, word completion and auto-correction obstruct her idea of poetry. The typewriter holds a different physicality, and working with it demands a different physicality: the process of writing before the thought becomes manifest. The resistance of the keys, the pressure of the fingertips, the mechanical breaking of the lines, each word counts.

»'What makes you happy?', I asked.
— 'If I order coffee and am served tea.' «

(Kreidler, Appearance and The Park, Hamburg 1998)

A play. Situations.

Situations she gets herself into, or has been nudged towards, amiable mostly, then turning around. Less a quest and more a reception, more a finding. A system. Flickering light on letters. A tingle beneath the skin. She is a keen observer. Inspection spells introspection.

She moves about in the space. Her eyes sweep over the diorama, over bodies, their relationships to and among each other, a record-keeping process, saving, caching, for a subsequent visit, revisiting, mingling again with the gang, later, when it gets dark outside or the day dawns; now they send signals, the rested thoughts behind closed lids, and her fingers dance over the keys.

A play of lights. Reflektionen.

By working with a typewriter she abandons immediacy to a certain extent, opens up a space of possibility for abstraction, which she expands by writing in one of her chosen languages: the vast majority of her poems is written in English.

Sometimes there is a word of German interspersed, her lingua franca, sometimes one in Turkish, her mother tongue, sometimes in French, in Arabic. One might read this as a struggle for precision, though in fact it is an act of elasticity. It is a round dance, the foreign word becomes the thorn around which the framed image moves. And of course she knows: if it feels right, it is right.

Her poems are never translations, when she writes in English, she thinks in English. A transfer, sure, but not so much of language, not so much of words, but of perception and of attitude. It is a supple movement, line flows upon line, the obstinate is not her concern, and she does not fight, this has nothing of passivity and it is not a form of resignation, on the contrary, she sees the light in the shadow, it is a joyous reception, and where she formulates opposition, she does so as a question.

Words pearl, encounters within closed spaces, a lightness of expression, or in the sun, carpets, clamorous, sometimes a hovering melancholy, sometimes a quiet contemplation, perhaps a tinge of sadness, on the street, plays of light, at the door, a bell, a melody, dissolves it, dissolves itself, to butterflies perhaps, plays out only in the mind, nevertheless emerges, someone nudges, but amiable mostly, she turns around, a mirror, illuminated from behind, a projection according to its own geometry: Snapshots so deeply engraved, yet which she keeps so vividly agile.

(translation by Seda Mimaroğlu, for Love Songs, San Francisco CA, USA: Blue Figure Press 2021)

 


Hanna Frenzel »Ich bin ja eine verdammte Träumerin.«


Galerie Auslage Pücklerstrasse 17 Berlin—Kreuzberg | 11—13 September 2020 | Eröffnung 10 September 2020 19 Uhr

Ein schwarzer Sack, knickt ein, beugt sich, knickt, nickt, ein Danke!, verbeugt
Sich, weiter runter, nickt ein, es knarzt, Gummi dehnt sich, noch tiefer,
Ein Drängen, ein Kauern, schrubbt, entlang, am Boden, Form verdreht sich, dunkle Robbe
Reckt sich, richtet auf, erhebt und streckt sich, eine Ahnung von Armen,
Beine, Glieder, die Hülle glänzend schmiegt sich, quietscht, an den Körper, klatscht,
Morpht und dreht sich, Gummi riecht, glänzt
Feucht und dehnt sich, die Kamera
Schwenkt, geht ran und wankt,
Näher ran, der Boden
Wankt,
Weicht zurück,
Sucht, versucht,
Hält die
Balance, und Aus.

Im September 2020 zeigt Galerie Auslage »»Ich bin ja eine verdammte Träumerin.« — eine Ausstellung von Hanna Frenzel. Ein Neuentdecken der Künstlerin, die vor allem in den 1980er Jahren Furore machte mit ihren Performances — und diese repräsentierende Arbeiten: Filme und Fotografien.

In den Fensterräumen der Galerie Auslage werden Aquamoving und Gummoving projiziert, zwei frühe filmische Arbeiten Hanna Frenzels, flankiert von einer Serie von Stills im Innenbereich der Galerie, die Frenzel als Abzüge im Format 50x50cm vorlegt.

Ein Drahtseilakt unter Wasser,
Ein weisser Sack, tief schwimmend im See,
Ein Zwitschern und Geschnatter, Luftblasen,
Aufschwebend und
Wieder nieder,
Ein Atmen und Unterlassen,
Verspannt, zerdehnt, betäubt, gekrümmt, gequält
Dunkel im Licht, ein
Tanz um den eigenen Schatten,
Nicht Verpackung, noch Verkleidung, kein Kostüm,
Nur eins mit sich selbst
Greifend in alle Richtungen, dreht sich,
Schlägt leicht, auf den Boden, schwingt sich, elegant nach Oben
Im Abgang atemlos.

Aquamoving und Gummoving zeigen jeweils eine Performance von Frenzel.
Aquamoving ist ein 16mm Farbfilm, der eine in eine sackartige Kunststoffhülle verpackte Person beobachtet. Sie tanzt in einem Bassin — Ausmaß und Gestaltung lassen ein öffentliches Schwimmbad vermuten. Sie tanzt alleine, ist alleine im Raum. Und: sie macht sich nicht die geringe Gravität in der Wassersäule zu nutze, sondern verharrt auf dem Boden des Beckens. Nur die Bewegungen sind verlangsamt. Luftblasen steigen auf. Zur fliessenden Leichtigkeit addiert sich nach wenigen Minuten ein unwohler Ton. Offensichtlich hält ein Gewicht sie unten. Schübe von Luftblasen. Das Bild lässt an organisiertes Verbrechen denken, Tüte über den Kopf, die Füsse in Beton, zumindest aber an Entfesslungskünstler*innen. Die Kamera zoomt hinein, ein expressiver Tanz oder der strampelnder Versuch, sich zu befreien? Die Tonspur beruhigt: Walgesang zwischen Zwitschern und Elegie. Nach neun Minuten schält sich die Person aus der Hülle, mit Sauerstoffmaske und —flasche steigt sie auf.
Gummoving ist ein Schwarz—Weiss—Film von 1970. Kontrastreich. Ein Wesen in grauem Raum. Auch dieses eingepackt in ein sackartiges Gebilde, auch hier ein Solitär — keine Information, keine Andeutung oder auch nur Ahnung eines Publikums, eine Aufzeichnung für die Kamera. Die Figur schwarz, eine gummiartige Oberfläche mit hellen Lichtreflexen. Sie windet sich. Im Aufrechtsein und Aufrichten, im Hinknien und Kauern gewinnt sie an humanoider Form, enthüllt sich aber nie. Der Ton scheint der Ton im Raum zu sein, das Quietschen und Knatschen des Gummis, das Reiben von Innen an der Hülle, das Scharren und Schleifen auf dem Boden. Die Kamera vergrößert zuweilen vorsichtig, bleibt aber immer in Distanz und rahmt den Solitär: eine Skulptur in Bewegung — ein lebendiges Tableau in der Anmutung europäischer Tafelmalerei.
Die ausgestellten Stills — eine Serie aus dem Film Gummoving — überhöhen diesen Augenblick. Schwarz—weisse Polyeder, gestoppte Regungen, abstrakte Projektionen menschlicher Skulptur. In ihrem Freigestelltsein mit leichtem Schattenwurf im grauen Raum mit der ganzen Tiefenschärfe auf der Figur, werden sie zu einem reliefartigen Objekt, das in die Zweidimensionalität hinein ein Bild öffnet.

Über die Auswahl in dieser Ausstellung hinaus ist das Arbeiten der Künstlerin mit ihrem eigenen Körper in Verhüllung ein wiederkehrendes Motiv. Die Filme von Hanna Frenzel sind Dokumente eines spezifischen Moments, das Flüchtige einer zeitbasierten Bewegung im Raum greifend. Man könnte fragen, ob die Titel den Film an sich bezeichnen oder auf das Abgebildete verweisen, und ob das wiederkehrende —moving die Bewegung des Filmbildes oder ihr Bewegen als Darstellerin nachzeichnet. Und in Fortsetzung in den Stills: was ist da zum Stillstand gekommen, was ist eingefroren, warum genau diese Sekunde und nicht die folgende? Das Auswählen ist eine weitere Ebene in ihrem künstlerischen Praxis. Eine weitere prozesshafte Bewegung, ein weiterer performativer Akt. Und was es zu den Filmen festzuhalten gilt, gilt ebenso für die fotografischen Abzüge, sie können als Markierungen von Frenzels Performances gelesen werden, sind aber weit mehr als das, nämlich: alleinstehende künstlerische Arbeiten.

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Hanna Frenzel wurde in Frankfurt am Main geboren, machte in den 1970ern eine Lehre als Lithographin und studierte anschließend an der Kunstakademie München. Ende der 1970er Jahre zog sie nach Berlin, wo sie 1979 ihre erste Ausstellung in Mike Steiners legendärer Studio—Galerie hatte. Über das kommende Jahrzehnt wurden ihre Arbeiten quer durch Europa präsentiert, in Stockholm, St. Petersburg, Copenhagen, Maastricht, Paris, Locarno, Warschau, Genua, Milano oder Istanbul, auf der Biennale di Venezia (1980), auf dem Münchner Metropoles Festival für Video und Filmexperiment (1982), im Sprengel—Museum Hannover (1984), im Kunstmuseum Bern (1985), auf der ersten internationalen Videobiennale in Wien (1985) oder dann 1990 auf dem 13 Tokyo Video Festival, 1994 auf der Berlinale oder 1995 im Hygiene Museum Dresden. Vom Ende der 1990er Jahre an nahm sie eine Lehrtätigkeit am Institut der Künste in Freiburg auf. Hanna Frenzels Arbeiten finden sich in öffentlichen Sammlungen wie dem Kupferstichkabinett Berlin, der Berlinischen Galerie, dem Lenbachhaus München oder der Stuttgarter Staatsgalerie.

Galerie Auslage wird seit April 2020 von der Filmemacherin und Produzentin Alexandra Weltz—Rombach betrieben.

 


HENDRIK KRAWEN — DER ANGEBROCHENE TAG


9 — 30 Juni 2020 | Eröffnung: Samstag 9 Juni, 18 — 20 Uhr | ITALIC, Leipziger Str. 61, 10117 Berlin Germany

DER ANGEBROCHENE TAG ist Hendrik Krawens zweite Einzelausstellung bei italic.

Die vorherige, ICH SING' DIR EIN LIED, erstreckte sich im Jahr 2017 vom Spätsommer bis in den Winter hinein. Krawen hatte sie in zwei Abschnitte geteilt: im ersten zeigte er sechs einzelne Werke auf einer Seite des Raumes, im folgenden Block beanspruchte das großformatige Ölgemälde »Golf von Oman« die gegenüberliegende, gekachelte Wand für sich. Majestätisch. Und einsam.

Nun versammelt er 21 Arbeiten, die im Rund durch den Ausstellungsort tanzen. DER ANGEBROCHENE TAG hat Krawen mit solcher Sorgfalt komponiert, dass weder die Sorgfalt noch die Komposition ausgestellt ist. Ein Fingerschnippen! — man hört das schnalzende Geräusch noch im Raum widerhallen.

Hendrik Krawen versteht sich als Maler. Wenn auch viele seiner Arbeiten die Anmutung von Grafik oder Zeichnung haben, so sind sie doch Gemälde. Krawen arbeitet mit ruhiger Hand, mit Pinsel und Öl. Reduzierte Kompositionen, insignienhafte Motive, Popmusik. Aus Drucktechnik, Architektur und Typographie entlehnte Bildelemente. Vieles in DER ANGEBROCHENE TAG ist vertraut. Schattenrissgleiche urbane Motive (Silhouette Nr.5, 2004, Silhouette Nr.11.1, 2011), eine einzelne Person in nachdenklicher Haltung behütet von streng schraffierten Parzellen einer Weide (Zanz 5, 2011), die dampfende Suppenschüssel mit Kanji—Schriftzeichen und der Chicagoer Telefonnummer zu einer Technoparty (Musik, 1997) der auf der Weltkugel hockende Engel mit Horn und Palmzweig (halbwegs geflickt/ Vers. II, 2020), das weit unten platzierte Gemälde grüner Fliesen (Steine (IV/2), 2018), das mit schwarzem und weissem Rauten—Ornament ein geheimnisvolles Signal zu senden scheint zur Kachelwand vis—a—vis. Mittig auf dieser das Trompe—l'œil Regina in Finsterwalde (2019), eine ausgreifende Schrift über possierlicher Laterne, die wiederum hinüberblickt zur Edition Dezember (Siebdruck, 2003), purzelnde Buchstaben, Antonelli buchstabierend, Dialog und Kopfgeburt zweier Personen.

In DER ANGEBROCHENE TAG gewährt Krawen uns aber auch andere Einblicke. Auf dem Boden ein bemalter Teppich, von oben dengelt eine Lampe. Der Platz im Zentrum linkerhand gehört dem Gemälde Marly und Richard. Ein Paar in aufgeräumtem Szenario, ein verbotenes Duell, eine Illustration aus einem Ritterroman aus dem 18. Jahrhundert. Hochgezogen, das Raster aufgerissen, flächig in klaren Farben koloriert, sie in einem Gelbton, er in Grün, Geäst in Braun — wie ein Panel aus einem Historiencomic der 1960er Jahre: »Ich mache jetzt Popart«, sagt Hendrik Krawen lachend, der Hintergrund aber ist eine aufregende, wolkige Malerei — »und Readymades!«, er weist auf ein Stück Verpackungsmaterial (o.T., 2013) und auf einen bildlosen Bildträger (Peter und Helga, 2020). Die beiden sind aber nicht so bildlos, wie sie auf den ersten Blick scheinen, weil beschrieben mit Schrift und beklebt und schliesslich von Krawen signiert und gerahmt. Oder gerahmt und dann signiert, da der Rahmen hier die Arbeit nicht nur als solche auszeichnet, sondern selbst Teil ist von ihr. Dann Fotografie: ein Paar (Sabine und Salva (1982), 2020) Postpunk, Graustufen, 1980er Jahre, als man noch wusste, sich selbst zu inszenieren, abgeguckt im NME, von britischen Stylisten, die das wiederum abgeguckt haben im kontinentalen Film der 1920er und dann wieder 1960er, wie auf der zweiten photographischen Arbeit (Franz und Ewa, 2020), erneut ein Paar, und eine weitere Inszenierung, gefunden, vergrößert, bearbeitet, klare Konturen, vielleicht tatsächlich ein Filmstill.

Es geht nicht um ein Sichneuerfinden. Krawen benutzt Techniken und Strategien, die er in der Malerei verfolgt und lange erprobt hat. Und natürlich sieht man in jeder einzelnen Arbeit sein Auge, seine Hand, seinen Eingriff. Dass er ein auf der Straße gefundenes Kartonstück mitgenommen hat, ist kein Zufall. Er mag nicht danach gesucht haben, aber Teil seiner Jahrzehnte langen künstlerischen Praxis ist auch das Genauerhinschauen. Und plötzlich blickt etwas zurück. Und so fand dieser Karton ihn. Und er blieb nicht der einzige. Und vielleicht waren sie ja alle zuerst Material, vielleicht waren sie Proben, Abschnitte, Übungen für ein Gemälde, bis Hendrik Krawen dann nochmals hinsah und wusste: Du bist es, und Du auch — und auswählte — Ihr seid die Arbeit, und sie einpackte und mitnahm, um sie auszustellen, in Dialog treten zu lassen mit den anderen Bildern, dass sie den Raum in ein summendes Schwingen tauchen. Und mit einem Fingerschnippen! machte er sich an die Hängung.

Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Tag? Wir setzen ihn einfach fort. DER ANGEBROCHENE TAG ist der Abend in der Lieblingsbar. Eine gewachsene Situation, Vertrautheit: Neues und Liegengelassenes. Erinnerungsstücke, Anekdoten der Leichtigkeit — ein sich Wohlfühlenkönnen ohne in Melancholie, Beweihräucherung, Heiligsprechung einsteigen zu müssen. Man sitzt am Tresen, lässt die Augen wandern, sie werden nie müde, man schnappt ein paar Wortfetzen auf, »Wir sind hier nicht in St. Petersburg, Baby!« Aber wenn Dir danach wäre, kannst Du gerne einsteigen, tiefer einsteigen. Solltest Du sogar. Wenn es von sich behauptet, leicht zu sein, dann spricht daraus keine Gleichgültigkeit sondern eine reife Gelassenheit, die es Dir nur einfach machen möchte, einzusteigen: »Umarme mich!« und dabei weiss, dass es Dir der größte Schatz sein kann.

···

Hendrik Krawen, »Sabine und Salva (1982)«

2020, Fine Art Print
Edition von fünf Exemplaren, 35x24cm (ungerahmt) à 450 Euro

Begleitend zur Ausstellung Der Angebrochene Tag bei italic im Juni 2020 legt Hendrik Krawen die Edition »Sabine und Salva (1982)« in einer Auflage von fünf (plus einem Artist Proof) vor.

Das auf einer Schwarz—Weiß—Fotografie basierende Werk von 2020 zeigt zwei junge Menschen — folgen wir dem Titel der Arbeit: Sabine und Salva — die sich in einander zugewandter Haltung in der Ecke eines Zimmers inszenieren. Die Fotografie scheint nicht gestellt zu sein, sie hat die Anmutung eines Schnappschusses, vielleicht aus einer privaten Serie, die Geschehnisse einer Party oder den Freundeskreis festhaltend. Die Lässigkeit der Posen und Gesten sowie Kleidungsstil und Frisur atmen Postpunk, was mit der ebenfalls im Titel erwähnten Zahl 1982 korrespondiert. Wenn Fotografie ein eher ungewohntes Medium im Œuvre Hendrik Krawens ist, so kann man doch deutliche Verbindungslinien zu seinen sonstigen Arbeiten ziehen: in der Reduziertheit des Sujets wie der Bildelemente, im strengen grafischen Aufbau mit repetiven Mustern, in der paarweisen Anordnung von Personen im Raum, sowie in Ausschnitt und Rahmung.

 


Kira Bunse — Traveling Light


16 November 2019 — 18 Januar 2020 | Eröffnung: Samstag, 16 November, 19 — 22 Uhr ITALIC, Leipziger Straße 61, 10117 Berlin Europe

Kira Bunse ist eine in Paris lebende Künstlerin. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Modefotografie, so arbeitet sie für diverse Labels, aber veröffentlicht auch Editorials für internationale Publikationen, von underground bis hin zu glossy, von Purple bis hin zu Vanity Fair. Kira Bunse Sujets sind Glam, Popkultur, die Freuden der Jugend, Sexualitäten, Schönheit des Körpers. Das setzt eine Erregung in Bewegung von gegenseitigem Bedingen, von Neugier und Verlangen — wenn sie nicht Teil davon wäre, könnte sie ihre Auftraggeber*innen gar nicht bedienen.

Kira Bunse ist gefragt als Portrait— und Peoplefotografin. Das liegt unzweifelhaft an ihrem Blick. Selbst wenn sie Gruppen ablichtet, wie beispielsweise bei »Przystanek Woodstock« ihrer — freien — dokumentarischen Arbeit über ein Musikfestival in Polen (2013), dann sind das keine wuseligen Übersichten, sondern konzentrierte intime Situationen. Ausschnitte, die als Solitär funktionieren, aber auch einem Puzzle gleich zu einer großen Erzählung kombiniert werden können.

Traveling Light ist ihre zweite Ausstellung bei italic. Die Fotografien sind analog; im schnellen Modebetrieb muss sie meist digital arbeiten, für Editorials oder freie Arbeiten führt sie immer eine Analogkamera mit sich. Kira Bunse hat Fotografien der letzten zwei Jahre ausgewählt und per Handabzug im Titel räumlich und zeitlich verortet, von Los Angeles 2017 bis São Paulo 2019.

Kira Bunse blickt hinein in Wohn— und Arbeitsräume, und hinaus auf die Inszenierungen von Menschenhand, die wir Natur nennen.

Menschen sieht man kaum, ihre Spuren schon. Sie selbst sind entrückt in der Ferne, scheinen kurz auf, verschwinden in einer Bucht, entweichen im Auto.

Es sind Ausschnitte, Momentaufnahmen, auf Reisen entstanden. Die Bilder eröffnen eine ambivalente Spannung: wurden die Motive gezielt gesucht, oder sehen wir Schnappschüsse am Wegesrand. Beiläufigkeit? — da gibt es kein Vertun: Kira Bunse ist ein Profi. Und ihr Metier ist die Fotografie. Beiläufig ist hier nichts: Kira Bunse Blick ist präzise. Und das auch, wenn sie lässig aus der Hüfte schießt.

Kira Bunse blickt auf Anordnungen im Raum, auf Geometrien, Gegenstände und Farben, die Bilder strahlen eine Ruhe aus, eine Beruhigung, eine ausgeklügelte abgestimmte Palette, nicht zu bunt nicht zu blass, nicht zu scharf und nicht zu weich, sie setzt den Rahmen, drückt den Auslöser, es gibt keinen falschen Moment, Zufall und Überraschung schon, oft vielleicht erst im Labor, wenn sie ihre Ausbeute untersucht; aber sie weiß, Gift wird keines dabei sein, denn wann und wo sie den Auslöser drückt: ihr Blick auf das Motiv ist immer ein liebevoller.

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