reviews 1993 - 1995, erschienen in Terz, Düsseldorf (Auswahl):

...> Texte & Gespräche



"Ein Revolver ist wie ein Popsong, er kann Dich verteidigen oder auch verletzen und töten."

NAKED NAVY scream of the hounded {buback, indigo}
15 jahre später trafen sie sich zufällig in einer alten hafenkneipe wieder. keiner von ihnen konnte sie sein stammlokal nennen, aber es regnete männer und der kneipier gewährte nicht nur obhut, sonder schenkte auch den verdammt besten sauren in dieser nacht aus. man feierte ausgiebig das wiedersehen, sprach über die alten zeiten: sebastién und nina hatten sich schon längst wieder getrennt, die meisten aus der band sind in grauenhaften autounfällen ums leben gekommen, die sozialdemokratie stand früher auch besser da. als der morgen dämmerte, die straßen nass, der himmel aber trocken war, verließen sie das etablisment und gingen ihre einsamen nachhausewege. aber nicht ohne sich zu einer angeltour am nächsten wochenende zu verabreden. die tage vergingen im flug und samstag morgen um drei war es dann soweit. sie luden all ihre gerätschaften, proviant und einige fässer bier in den jeep und kaum drei stunden später standen sie in gleisendem licht an einem gebirgsbach. erst jetzt stellten sie fest, daß sie ihre angelruten vergessen hatten. dafür hatte jeder - als hätten sie sich abgesprochen - sein instrument dabei. sofort waren diese ausgepackt, ein faß angestochen und vor munter hüpfenden forellen jazzten sie freudig erregt drauf los. bill radelte vorbei, eigentlich wollte er nur eine nachdenkliche tour machen, gesellte sich aber sofort zu den boys und lieh ihrer musik seine stimme. als gegen nachmittag leichter nieselregen einsetzte, war man sich sofort einig, die zweihundertdreißig kilometer nach hamburg zurückzufahren, um diesen wunderbaren tag in einer alten hafenkneipe bei den verdammt besten sauren in die nacht hinein fortzusetzen. (07 1995)

DIE STARS are THE STARS (Buback/INDIGO)
... Und abends Gäste: Der Einladung zur scotch party leisteten alle Folge. Gab es doch neben Sebastién und Ninas Einzug in die neue 2-Zimmer-Komfortwohnung vorallem ihre Verlobung zu feiern. Kaum eingetreten überraschte die geschmackssichere Inneneinrichtung in ihrer espritvollen Kombination aus sinnreichem Komfort, klassisch klarer Eleganz und lässiger Perfektion. Nina, hinlänglich als perfekte Gastgeberin bekannt - beweglich in der Linie, nonchalant im Stil - reichte zum Scotch erlesene Pfeifen- und Zigarrentabake, während Sebastién den neuen Buntfernseher vorführte. Alle scharrten sich um ihn, keine Sekunde des gewagten Abenteuers von Herrn Rossi zu verpassen, als es plötzlich klingelte. Fünf vertraute Gesichter standen vor der Tür, seltsame Koffer in ihren Händen: "Wir haben unsere Instrumente mitgebracht!" Sogleich war der Fernseher leise gestellt, die Kunstleder-Sessel beiseite gerückt und der Vorwerk-Teppich eingerollt. Zarte Vibraphonklänge erklangen, das Gastgeberpärchen eröffnete souverän mit einem Quickstep den Tanz. Von Jacques Louisser bekanntgewordene Melodien wurden ebenso präsentiert wie Eigenkompositionen der jungen Band. Françoise ließ sich nicht zweimal bitten, das Gainsbourg-Stück zu singen, Guido und Karen waren sofort dabei, als es darum ging, die Tasteninstrumente zu besetzen. Mit einem Lächeln schloß Sebastién seine CDs weg und füllte vergnügt die Scotch-Gläser nach, bevor auch er sich wieder in den nicht enden wollenden Reigen stürzte. Spät in der Nacht mußten er und Nina die letzten Gäste mit sanfter Gewalt zur Türe hinausschieben. (09 1994)

TOSHINORI KONDO & IMA Red City Smoke (JARO)
(...) Eines Abends zu viel mit der Fernbedienung gespielt (...); wollte wie immer nur in den groovy Abspann von "Die Straßen von San Francisco" reinzappen, was Karl Malden diesmal strafte: er rammte seine große Nase in die Bildröhre und mein Fernseher implodierte (...). Glassplitter, versengte Kunststoffteile, Cornflakes, verbogene Trompeten und Electro-Guitarren tanzten um meinen Kopf. (...) Schade, vorallem weil ich am nächsten Morgen weder die Japanserie "Winspectors" (RTL) noch das "Tetsuo"-Video schauen konnte. (...) (03 1994)

REV HAMMER The bishop of Bufallo (Cooking Vinyl)
REV kennt den Wilden Westen nur aus dem Lucky Luke Comic; der Pfaffe ist eine böse belebte Vogelscheuche und tanzt gitarrespielend um das knisternde digitale Lagerfeuer. REV soll mit Tasche wohl endlich den crossover zum Attila the Stockbroker Fanclub schaffen; ist aber musikalisch immer noch aufregender, textlich poetischer und dichter als der DKP-Pressefest-Barde. REV versucht vor dem Spiegel den betrunkenen Bob Dylan, dann den Bruder von John Cougar-Mellenkamp; wird dabei nicht laut, krakelend aggressiv sondern nur melancholisch, Mittlerer Westen. REV trinkt Whiskey in the Jar und schielt nach San Francisco. REV lädt Mitglieder der Unband NMA zu sich nach Hause, die haben schon den JOOLZ-Bonus, und rocken ab, stören aber auch hier nicht weiter. REV weiß nichts von RAVE. REV weiß, wo das Hämmerchen hängt. (05 1994)

DIE STERNE Wichtig (l'age d'or)
Beat ist nicht gleich Beat. Als er Anfangs der 60er Jahre von englischen Amateurgruppen gefunden wurde, suchten diese, humanistische und demokratische Interessen der Werktätigen in ein musikalisches Gewand zu kleiden. Bis heute gibt es EinzelmusikerInnen und Gruppen, die diese progressive Strömung weiterverfolgen und nicht mit Kritik an der kapitalistischen Lebensweise sparen. Die andere Beatmusik ist böse, im Dienste des Imperialismus und der monopolisierten Kartelle. ähnliches gilt für den kurzlebigen Schlager: Großes leistet er, wenn er uns das Menschenbild unserer Tage auf heitere Weise bewußter macht; zu meiden ist er, wenn er versucht, das wahre Wesen der Welt zu verklären. Eine herausragende Leistung ist die gelungene Verbindung der Vorzüge des Tagesschlagers - Anregung von Geselligkeit, übermütige Melodien, Witz - mit der Satzweise des Beats. Dies ist der Combo die Sterne auf ihrem ersten Tonträger durchgehend meisterlich gelungen. (1993)

FÜNF FREUNDE Aggro (Autarc, EastWest)
Auch so ein 70er TV-Trauma, daß ich heute den Fernseher heller als Standard eingestellt habe: Blytons 5 Freunde - Serial, wo die spannenden Momente immer in geheimnisvolles Dunkel gehüllt waren. Don't make me abuse my imagination - nicht da für. Die hanseatischen 5 Freunde sind eh schon zu sechst (also hat "jeder von ihnen 5 Freunde" so Thies, der Mann hinter den Reglern) und meinen, sie können so gut auf "... Timmy, der Hund" verzichten - jedoch: zur Rolle des Hundes im Pop vgl. Lassie Singers, Laika, Black Dog, Snoop, ...
"Aggro" hört sich in schlechten Momenten so an, wie das, was vorgestern zu NDWff.-Zeiten die Humpe-Sisters und neulich erst die Lassie Singers (daher paßt Krüger wie die Braut aufs Auge) oder Lucilectric taten -also dran bleiben am Pop-Schlager mit der schmissigen Orgelmelodie - öfter aber wie das Fortsetzen von Düsseldorfer Dickpimmel-Rock mit seinem Beharren auf 80er-Hedonismus (vgl. auch das Doppel-F: F.Farben, F.Five). Wo es mir bei den Fünf Freunden dann richtig gut gefällt, ist zum einen, wenn ihr Blick romantisch auf Liebe, Pop und Revolution fällt: "Liebling laß uns Waffen klauen/ und dann den Staat zu Schrott zu hauen" zum anderen - klar -, daß ich bei ihnen nichts heller stellen muß. (04 1995)

MAX GOLDT NINO SANDOW MICHAEL DUBACH Musik wird niemals langsam (45/Indigo)
Bürgerlich, bürgerlich, bürgerlich!!! Diese Scheibe ist bürgerlich. Die zwei Flügel im Herrenzimmer aufgeklappt, die Notenblätter ausgepackt, einen Nachmittag lang Liedgut intonieren. Bürgerlich!
Oder doch nicht? leonhard loreks texte geben eher die umgebende Bürgerlichkeit metabürgerlich zurück: wie christian geissler zu Bad Kleinen sprechen "bleiben wir liegen auf gleis 4/ich lieg neben dir/ auf positionspapier" und dabei das Aliasleben der ehemals schönsten Jugend in der DDR kommentieren "für ein reihenhaus/ kommen wir ins schwärmen"; wie ein alter Aktivist über die "alzheimer chaussee" irren: "sollte ich nachhause gehn/ zu aldi oder warten/ wollte mich das rote kreuz/ der mossad oder schering/ diente ich der heilsarmee/ der wehrnacht oder marion"; beim frühstück "wolfgang hilger ist in der zeitung" entdecken; als "kleine spanner" ein bißchen "armut gucken", "ein wenig frieren" und uns "was schämen/ vor den tagesthemen". Zwischendurch Texte von Ingeborg Bachmann, Heike Wilingham, Max Goldt und somit natürlich auch POP: "die taschen voll infarktkonfekt", "after shave schaf", "I'm the lady with the green/ umbrella, la, la", Texte, die durch die Umsetzung eine seltsame Schwere kriegen: "ob musik wohl langsam wird/ wenn ich kranke menschen küsse?" Dann auf die kleinschreibung beharren (- weshalb bei uns einst übrigens Groß-und Kleinbuchstabe eingeführt wurde: was Großgeschrieben wurde gehörte dem Lehnsherrn/König etc., was kleingeschrieben wurde, hatten die Untertan zu tun), auf Interpunktation verzichten: Ausschnitte/Ausblicke zeigen. Am Ende wird das Fenster geöffnet, alles verflüchtigt sich in den Geräuschen des Hinterhofs. "wir feilschen nicht/ um die wasserleichen/ denn was hin ist ist hin" Diese Musik hat vorübergehend keinen Namen. (11 2004)

CORAZÓN Scheiß-Autoreferenzialität (kultur arbeiter verlag Albert-Roßhaupter-12a Rgb. 81369 München, 15 Mark)
Die Gefahr im Arbeitsprozeß versunken selbstrekurrierend Sessel voll zu pfurzen oder gar auf alpinen Holzwegen Enziane und Mauerblümchen zu zertrampeln kann im ständigen Rückkoppeln an gesellschaftliche Zustände und Diskurse bei simultaner Kenntnis der (eigenen) Geschichte vermieden werden. Oder das Beharren auf der marxistischen Analyse durch das Bewußtsein ihrer Größe dank Aneignung und Spiegelung postmodernen Wissens.
Das Kollektiv Corazón nutzt Suhrkamp und digitale Technik zur Prüfung & Belegung der Relevanz und zum Bereithalten & Frischmachen revolutionären Denkens im Pop. So stellt es Sozietät, Kollektivität und Geschichte durch Verknüpfen einst sich abgrenzen(müssen)der und bekämpfender (Sub)kulturen (FDJ--Spontis--Wave--Neofeminismus--Duisburg) her, womit natürlich auch unterschiedlichste musikalische Ästhetiken (Natschinski-Gruppe-Singeclub-Bigbeat; HausbesetzerInnenpräpunk; NDW; Ruhrgebietspostfolk; Plan/Milch-Pop) und politische Herangehensweisen (60-70-80-90,...) weiter-und zusammengeführt werden.
Die Auswahl der Stücke zeigt unter anderem das Wissen um die Wichtigkeit der libidonösen Besetzung von Politik ("Kaltes, klares Wasser"), thematisiert die Problematik des "schwarzen Flecks" ("Macht kaputt, was Euch kaputt macht"), verhandelt die Komplexität parolisierenden Sprechens und der Erreichbarkeit von Utopien; daneben bastelt Corazón eine mögliche politische Deutschlandkarte (Düsseldorf=DKP, München=Hauptstadt der (Gegen-)Bewegungen, Ruhrgebiet, HH, W-Berlin 70, W-Berlin 80, DDR).
Ähh... große Platte! wollte ich damit sagen. (10 1994)

SAAL 2 Auf der Suche nach dem Glück (Moll/EFA)
"Wir kommen noch, das ist keine Frage. Wir haben vor ziemlich langer Zeit zwei Singles gemacht und sind trotzdem noch im Gespräch. An der Band muß ja irgendwas dran sein." (Jens Kraft, Scritti 4-83) Schon sind sie da und reisen mit uns zurück in Zeiten als es Bands wie Die Zimmermänner, Große Freiheit oder Die Hesselbachs gab, Keyboarder Heimorgel spielten und Pop-Journalisten noch Ewald Braunstädter, Markus Heidingsfelder oder Kid P. hießen. Unter der Sozialdemokratie gingen Salon-Bolschewismus und hedonistischer Genuß ohne Reue Hand in Hand. Rote Armee okay aber auch Kippenberger okay. Alles eine Frage der (sorry) Kontextualität. Dennoch keine Retroalbum als Debut, der Haaransatz ist zwar deutlich nach hinten gewandert, aber Kraft und Godecke Ilse strahlen vor jugendlicher Experimentierfreude, ihre Instrumente haben die HH-Popper (mit dabei Detlef Diederichsen, Folke Jensen u.a.) ja schon immer beherrscht und unterwegs packen sie alles mit ein, was die letzten 11 Jahre brachten: Helge Schneider, Felt, Plan, Moll-Wave, Briegel, NDW, Zugeschaut-Mitgebaut, MPB. Und eine schöne Zugabe mit Alfred Hilsberg als Weihnachtsmann. Irgendwo dazwischen liegt das Glück, aber das muß jedeR für sich selbst finden. Klar, alte Freunde, trotzdem seltsamste, das bisherige Labelprofil sprengende moll-Veröffentlichung. "Dieses Zeug schmeckt gar nicht schlecht." (11 2004)

V/A - RARE SCHELLACKS: 1. Bayern: Volksmusik 2. Oberösterreich-Salzburg: Volksmusik 3. Wien: Volksmusik 4. München: Volkssänger (Trikont/EFA)
Wer kennt das nicht, beim flohmärkischen Wühlen in Plattenkisten, plötzlich diese dicken schweren 10inchs, das Habenwollen - doch dann fällt der Blick auf die UpM-Angabe und die kennt man nur noch von seinem ersten, damals von den Eltern ins Kinderzimmer gestellten Plattenspieler. Musik und Sprache verschüttet, der Zugang vom Hard-und Software-Kartell versperrt (vielleicht könnte sich Technics mal überlegen, zu dem +/-8 - Pitch auch 15 und 78 wieder einzuführen).
Das Münchner Label TRIKONT, das sich mittlerweile als sachverständigste Stelle für Texmex, Cajun, Zydeco,... erwiesen hat, begibt sich nun auf die Suche nach der bayrisch/östereichischen Kulturgeschichte und veröffentlicht vier liebevoll gestaltete CDs mit alten (1902-49) Schellackaufnahmen aus München, Wien, Oberösterreich und Bayern. Die ausführlichen Linernotes und tollen Fotodokumente vergessen über kompetentem Referieren der Geschichte der volkstümlichen Musik, biografischen Angaben zu den InterpretInnen, Instrumentenkunde und Kompositions- und Aufnahmetechniken, auch das gesellschaftlich-soziale Umfeld nicht, das den oft anarchistischen bis explizit politischen Moment dieser Art Musik, wenn schon mal nicht durch staatliche Repression zu verbieten suchte, doch zumindest immer stark bedingte.
Wie die "typisch wienerische" Musik sich nur der Interkulturalität dieser Stadt verdankte, welche Urbanitätsprobleme und Stadt-Land-Konflikte es Anfang des Jahrhunderts gab, was Blasmusik mit "türkische Mussig" zu tun hat, was "Schrammel-Musik" eigentlich ist, wie sich das Entertainment zwischen WK1 und WK2 änderte oder was mit 78 zwischen 33 und 45 geschah, neben vielem anderen geben diese les-, sicht- und hörbaren Dokumente darüber ausführlichst Auskunft.
Für sich und seine FreundInnen besorgen, neben der präzisen und lebendigen zeitgeschichtlichen Schilderung auch die Wurzeln von Bands wie FSK, Attwenger oder Biermösl Blosn und vielleicht eigene Anknüpfungsmöglichkeiten entdecken, aber auch seinen Großeltern schenken, um sie affirmativ zu überzeugen, wie kümmerlich und reaktionär die von ihnen geliebte heutige "Volkmusik" doch (geworden) ist. (10 1994)

BERND BEGEMANN Solange die Rasenmäher singen (Rothenburgsort)
Begemann und sein "Entertainment trotz Rezession, Baby" letztes Jahr von jedem/r unzählige Male gesehen & geliebt, geriet ja in ein recht krudes Fahrwasser. Dabei hätte man ihm nur '88 zuhören müssen: "Angesichts der globalen Vernetzung gibt es natürlich kaum mehr nationale Identität, aber schön wäre es." (SPEX 9-88) Das war ein Jahr vor dem Großdeutschen Reich. Heute macht er Musikern aus Deutschland, die Nichtdeutsch singen, immer noch den gleichen Vorwurf: "der Nachbar" verstehe ja die Texte nicht. Aber wer will schon vom Nachbarn verstanden werden, der trotz Aufwachsen mit angloamerikanischer Musik nur DEUTSCH verstehen will? Wahrscheinlich alle in Rothenburgsort beim samstäglichen Rasenmähen, beim sonntäglichen SPD Wählen und beim Pickel Ausdrücken mit Bodo Illgner vorm Spiegel: "Ich finde, daß Gewalt gegen Ausländer das falsche Mittel ist." Oder um es mit Bernd's Worten zu sagen: "Nur die Dinge, die Dich bedrohen, sind real/ Es gibt kein Entkommen vor dem gemeinen Spiel". Gemein wäre, wenn BB auf dieser Scheibe ähnlich frisch spielen würde, wie auf der letzten. Tut er aber nicht und so ist es dank der verschnarchten sozialliberalen Musik für jedeN einfach, den Reimereien dadurch zu entkommen, daß man die "neue Begemann" getrost wieder von seinem Einkaufszettel streicht. Solange die Kettensäge singt, kann uns nichts passieren. (09 1994)

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(Aufmerksame Leserinnen und Leser werden merken, daß in diesem Text geschickt Anspielungen auf Superwahljahr, Derek Jarman und allerlei andere Drogen versteckt sind. Wer sie findet und uns schreibt, gewinnt ein wertvolles Witze-Heftchen.)

"Der Wald ist der Urquell der Musik. Wo der Wald stirbt, wächst die Wüste. In der Musik nennen wir das Jazz." (Günther Schwab, Der Tanz mit dem Teufel, Hameln 1975)

Wo in Bulgarien der Wald stirbt, wächst Hanf. In der Musik nennen wir das Le Mystère Des Voix Bulgares also "Geheimnis des bulgarischen Wahlrechts" (laut meines dictionnairies). Klingendes Spoken Word. Zahlensperre im Klangkörper. Unverstärkt. Außer im Sommer (45˚ C) zum Abkühlen der einzige Grund, mal ab und zu in eine Kirche reinzuschauen/hören (Lale Li Si, JARO/In-Akustik).

Fällt im Frühling natürlich schwer: denn es locken ausgedehnte Spaziergänge durch sonnige Blumenwiesen. Doch Achtung, hier sticht Biene Maja. Der Schmerz erinnert uns an Willi, die Spinne Thekla aber auch an Pinocchio oder Wickie: also japanische Zeichentrip-Serienproduktionen. Fand ich als Kind irgendwie doof und trotzdem immer geschaut. Reihse back, way back into time mit Die schönsten Kinderfilmmelodien (Nice Music): den Triumph des Nichteuropäischen Blicks über eurozentrische (Märchen-)Erzählungen konnte ich damals nicht erkennen, geschweige denn genießen; AsiatInnen sahen für den kleinen Schwörstädter zwar irgendwie alle gleich aus, mit dem japanischen Conter aber - EuropäerInnen = runde weiße Gesichter und große Augen - wollte ich mich nicht einverstanden erklären. Und back to future: Schluß mit der mittlerweile neoyuppiefizierten postgeschmäcklerischen Hipness von Ennio Morricone, Peter Thomas' Soundorchester oder John Barry! Wir brauchen junk, und die Finger der HipHop DJs dürsten nach Nils-Holgersson-Samples!!

Okay okay, komm runter, N.D., relax. Ab auf die Matraze, einen bauen. A Trance Compilation - Be(net)tonfreie Zone. Das aktuelle Wahlprogramm der Grünen sieht ja unter anderem "Joints für alle" vor - auf den 2001-Hanfbuch Hype reingefallen? ich tippe auf 0,2% Stimmen (Publics Choice). Doch Rettung: Von draußen dringen laute Motorengeräusche ins Zimmer:

Elf Beat-Raketen zünden die Inspiral Carpets auf "Devil Hopping" (Mute). Was hatten die nochmal mit RAVE zu tun? Der kurze Berührungs-Moment von britischer Jugend(RAVE)Kultur und Working Class Heroism (die Carpets als Fortsetzung von Bands wie The Clash - The Jam -...) -scheint Jahrzehnte zurückzuliegen. Hier auf dem Kontinent hatte das ja sowieso niemand verstanden. Poprocker, die sich freuten, auf neue Hush-Interpretationen tanzen zu dürfen, nannten von Monster Magnet bis Primal Scream jede Orgel mit groovendem Beibeat RAVE; Acid fand hier en gros eigentlich auch nicht statt, und, man stelle sich die Gesichter der Mayday-Glatzen vor, auf einem ihrer RAVEs wären von mir aus die Inspiral Carpets aufgetreten. Muh Muh Muh. Ich weiss gerade nicht, welche Musik in London spielt. Die Nordengländer fahren uns auf jedenfall jetzt mit der Bimmelbahn ins New -Wave-Revival-Land. Auch schön.

An einem kleinen Bahnhof wollten drei gutgelaunte Schweden zusteigen, um uns von den Sommern der Liebe 82/83 zu erzählen; leider hatten sie sich an ihren mit einer Paste aus James Last, Aztec Camera und Haircut 100 belegten Butterstullen reichlich verschluckt und die Bahn verpaßt (Eggstone - Somersault, snap records).

Dafür bringen ihre Labelmates easy (Sun Years, snap records) Gewürzgürkchen, Zuckerwerk und pastellfarbene Konditorei-Creationen ins Abteil. Die sind schon wieder ein gutes Stück weiter, wir schreiben das Jahr 1986: der NME veröffentlicht eine Cassette mit jungem, aktuellem Britpop, Bands wie Primal Scream tauchen zum ersten Mal auf, die Jahre später auf RAVEs spielen werden, wie z.B. auch die Inspiral Carpets, die ja heute ... (- siehe oben).

"Und Herr Rossi sucht das Glück..."

Erst Stunden später merke ich, daß unsere Dampflok immerzu im Kreis fährt. (04 1994)


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OSTZONENSUPPENWüRFELMACHENKREBS Keinseier (l'age d'or / EWM)
Poststreik. Rund 1,5 Millionen Sendungen blieben allein in Düsseldorf liegen; bei durchschnittlich 2000 Sprach/Schrift-Zeichen pro Postgut sind das 3 Milliarden unsortierte Textteilchen. Irgendwo dazwischen die neue CD von OZSWMK - wortlos. In den nur durchnummerierten Instrumentaltiteln wird eine Geschichte deutscher Populärmusik - vom Can-Kraut über NDW à la S.Y.P.H. bis eben zu OZSWMK - erzählt. Dazwischen Melodieteilchen von Felt's "Let the snakes...", das Zeit-und Raumhaben der späten Talk Talk und Bruchstücke von ganz frühem SubPop und SST.
Die Band spricht von Identitätskrise nach letzter Platte (92) und Tour; alles erreicht (Aussagemöglichkeiten, Zusammenspiel, ...) - wie jetzt weiterarbeiten? Zur Instrumentalmusik führte sie der Rückzug Tilman Heydens: er spielt zwar auf der CD ein bißchen Banjo, pausiert aber ansonsten. Dann doch nicht ganz: auf dem Cover läßt er statt Worte seine schönen Zeichnungen Geschichten erzählen. Nach den ersten gesangsfreien Auftritten wurde OZSWMK Etikettenschwindel -weil Bandname nicht geändert- vorgeworfen. Kein-Seier soll den Zustand beschreiben, etwas NICHT zu sein; also eine einmal (selbst)konstruierte Identität wird abgelehnt. Die Instrumentalphase als Schritt in einem Prozeß, der - trotz der Gewißheit, daß Worte hier nur die Schönheit der Musik zerstören würden- hoffentlich wieder zur Sprache findet. (10 1994)

DIE ALLWISSENDE BILLARDKUGEL vs. CNN (What's so funny about)
Thies kämpft mit seiner allwissende(n) Billardkugel gegen CNN und gewinnt die falschen Freunde. "Ich will dabei sein! Warum fangt Ihr immer ohne mich an??" schreit er in die Runde. Der Tanz auf jeder Hochzeit, der Griff zur Vodka-Flasche, schwitzend den Einsatz findend, und dann alles falsch machen: die Hose, Mann, wechsel' Deine Hose!!!
Thies'Gestimme nervt, er rechtfertigt das natürlich mit politisch (holiday in Somalia, Josef Goebbels - ja genau, nicht der) und trägt dazu ein wave-iges hc-Blumenberg-Stirnband. "Hey, Weirdo, was machst Du in diesem Teil der Stadt, in dem Du noch nie betrunken warst?" Bitte, begnadeter Bandmusiker, versuch' doch Deine Ideen etwas zu ordnen, denn mit oder ohne Dein Zutun, irgendwann verschwindet die Billardkugel im Loch - in welchem, könntest zumindest Du entscheiden. Sieh' doch die ganzen StudentInnen an der/mit der/dank der Postmoderne scheitern, forever Ruhrgebiet ist doch mehr als okay auch in Hamburg. (...)
Ein Schritt vor, wirr zurück, frag mich bitte keiner warum, auch im Scheitern ist Thies vs. CNN mir irgendwie doch sympathisch. (07 1994)

V/A - REGGAE FüR KINDER (Dreadbeat/EfA)
Mein Erstaunen war groß, als ich vor drei/vier Jahren als Beilage zu einer MICKI MAUS eine LL Cool J Flexi entdeckte. Später dann die BEATMASTERS im Disneyclub vor ungestüm mitklatschenden Achtjährigen. Wie freundlich kommt da diese CD daher. Sie wurde "speziell für unseren Nachwuchs produziert, da die verspielte Rhythmik des Reggae optimal für kleine Kinderohren" sei. So so. Und von den (Lady)Loversrockern GREGORY ISSACS und FREDDIE MCGREGOR über den alten Mann BUNNY WAILER bis zu den bösen Fingern YELLOWMAN und EEK-A-MOUSE haben alle ihr Herz für Kinder entdeckt. ISAACS präsentiert "Paff, den Zauberdrachen", WAILER schickt uns zurück in die old school, J. C. LODGE (übrigends die einzige Frau - die anderen Reggae-Aktivistinnen haben wohl zu emanzipierte Vorstellungen im Bezug auf Kinderkriegen & -Erziehen) bietet mit "Over the Rainbow" die Alternative zu Maruscha, BRIGADIER JERRY bummelt on the sunny side of Jamaica und King Yellowman reimt so klasse skurill und abgedreht, daß die Übersetzung im Booklet - alle Texte sind zweisprachig abgedruckt- Mühe hat, ihn nicht als legastenischen Depp darzustellen. Einzig ein Rock'n'Reggae von MICHIGAN & SMILEY und die hausbacken-christliche Betroffenheit von BLACK SHEEP und PETER BROGGS fallen ab. Ansonsten: zeugt Kinder oder beschenkt Neffen & Nichten. Ach ja, liebe Dreadbeats, meine Töchter hören übrigens lieber Instrumental-Versionen, könnte das bis X-mas vielleicht klappen mit "DUB for KIDS"? (09 1994)

SOULED AMERICAN Frozen (Moll/EFA)
Deutsche Bahnhofsuhren. Der elektrische Impuls bremst den Zeiger und läßt ihn dann in einem kleinen Sprung zur nächsten Zahl fortschreiten. Time stands not still, fließt aber auch nicht, sondern wird kurz eingefroren, den längstmöglichen Moment hinausgezögert und Cäsium-Zeitbasis-präzise weitergeschaltet.
Souled American vervollkommnen dieses Prinzip auf "Frozen": Anschlagen der Gitarrensaite, Innehalten, Dehnen und Aufladen des einzelnen Tons, dann weiterspielen. Das größere Ganze, in das sich diese Netze, Flächen und Räume einbinden, also das, was man gewöhnlich als Song bezeichnet, nimmt hier eine freie Struktur ein, die nicht von einem Schlagzeug zusammengehalten oder gar in Form gezwungen wird. Für alle, die Ohren haben. (11 1994)

DIE REGIERUNG unten (L'age d'or)
Unten liegt von Hamburg aus gesehen das Ruhrgebiet und zeigt uns, daß die (Re-)Sozialisierung HH bei manchen Menschen überhaupt nicht greift: nicht ex-Leben Essen, sondern immer noch dort drin. Das Große an DER REGIERUNG ist, daß sie 70er Ruhrgebiet-Krautrock und seinen Ekklektizismus (nämlich auf die jugendliche Rezeption von 60er USA-Rockmusik zurückführbare Interpretationen) und verstimmte deutsche Schlagertexte derselben Zeit verknüpfen und in die 90er rüberrett(et)en. Hier fährt die Band die Route, die Wim Wenders in jungen Jahren so gerne verfilmt hätte. Die geknatschten Texte - Tilman Rossmy ist der einzige Sänger, der das so kann - leben genau in dem Moment, in dem sie gesungen werden, und sprechen von einem paradoxen Ort mitten in der Metropole außerhalb aller Diskurse: "man muß ja auch nicht immer Theweleit vertonen ". Auch der "postmoderne" Schnickschnack (Coverartwork, 15 Minuten Pause bis zum letzten - ungenannten - Stück) kann seiner liebevollen 1975er Souveränität nichts anhaben: "Wer sprechen kann, dem stehen alle Türen offen" (02 1994)

OVAL- Wohnton (ATA TAK/ EfA)
Zu den ersten Lauten, die ich von mir gab, zählten Mama, Papa, Ball, Verteilerdosendeckel und sowas wie WOHNTON. Damit bezeichnete ich unser Wohnzimmer. Ende der Sechziger.
25 Jahre später: WOHNTON ist der Klang für Neunziger-Wohnzimmerpartys: LSD, Salzstangen und WM-Drinks; Begemann bespricht die WARP-Compilation, Vierspurgeräte spielen Vorder-und Rückseite von Stereo-Audiotapes gleichzeitig, jemand fällt in die Gitarre, stolpert in den JUNO alpha, "Hallo draußen", Fettfinger auf der CD, digitale Sprünge werden zu Raggableeps.
Oder Sebastién und Daniel sind zum Fünfuhrtee da. Und hören ein großes Album. (11 2003)

SCOTT WALKER Tilt {fontana, mercury}
eines meiner lieblingsalben von 1983 war "climate of hunter", auch wenn ich nie genau beschreiben konnte, weswegen eigentlich. es lief so außerhalb aller musikalischen bewegungen und meiner vorlieben, selbst das klangbild passte nirgendwo hin. bis heute kann ich die platte zu kaum etwas in bezug setzen, gerade noch zu walker's eigener genealogie.
auch walkers neues album "tilt" durchzieht wieder diese ungeheure klarheit und transparenz. schwebende feine strukturen, die keine mitte und kein zentrum bestimmen, streichen über die platte, frei darüber bewegt sich seine bald schon opernhafte stimme. bewegungen von einer ernsthaftigkeit, klassischen modernität und strenge, voller ruhezonen, pausen und öffnungen, aber so auskomponiert, daß jeder weitere ton das sensible gleichgewicht ins kippen bringen würde. als popreferenzen fallen mir nur die letzten talk talk platten ein, sometimes john cale und bei "the cockfighter" eine ähnliche herangehensweise an sound im song wie - es mag seltsam klingen - shut up + dance's produktion vor drei jahren für nicolette. vielleicht eher mit malerei vergleichbar, aber auch da ein seltsamer bastard aus schwerem barock, abstrakter amerikanischer malerei der 50er und 60er jahre und rahmenlosen aquarellen. dann doch eine spoken word platte oder ein illustrierter gedichtband.
für manche musik muß man sich eben 11 jahre zeit nehmen. (07 1995)


TRICKY Maxinequay (4th & Broadway/ Island)
Spätestens die nicht so tolle letzte Massive hätte mich warnen müssen, aber in Tricky's erste (Solo) LP setzte ich ähnliche Erwartungen wie in die von Portishead, nachdem ich deren erste 12" gehört hatte. Und dann kam dieses Dummy, was bei Alternative-Rockisten auf fruchtbarsten Boden fiel, harmonisierte so schön mit ihren ganzen Weltschmerzen und Komplexen (- um harb zu zitieren "Verdichtung Verhärtung und Midlifecrisis"). Am liebsten würden die doch alle Baudrillard gut finden dürfen. (- nach einem Besuch im Kölner Sixpack)
So schlimm ist Tricky natürlich dann doch nicht, die Huldigungen, mit denen das Album von der englischen Presse überhäuft wird (u.a. "...one of the greatest albums of the decade, already" i-D) mag ich aber nicht unterschreiben. Dazu hat er leider ein paar Rocker auf der Pfanne, die auch der späte Matt Johnson nicht von der Bettkante stoßen würde; anderes riecht stark nach dem Kraut, das die Stereo Mcs vergaßen, in ihrem Vorgarten zu ernten. Und manchmal schwingt sich die ansonsten tolle Sängerin Martine zu B-52s Gequickse oder gar zu "Opfer"-Chanteusen wie Heather Nova runter.
Genug genöhlt: wer so einen catchy cameo van fährt, weiß auch, wie es anders geht: nämlich coole, schwere Grooves mit Wortschwällen und x-plicit lyrics paaren; Blicke in die 70er werfen, die in ihrer Art Bongwater auf britisch nachvollziehen; und Flintstone-Hop um Martines Sprechgesang, der sich auch ziemlich schön Nicolette annähern kann, bauen. Ansonsten warte ich auf Mad Professor Dubs. (04 1995)

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h i p h o p b r d


"Auch das amöbengroße Gehirn eines CD - Player - Besitzers ist eine neue Züchtung, die wir die Freude haben, beobachten zu dürfen." (Diedrich Diederichsen 1987)

Rock'n'Roll Highschool (mit den Ramones)
Immer in Verteidigungsposition - ANARCHIST ACADEMY. Nicht im Angriff wie ihr Logo, das die Waffe gerade abgefeuert hat und jetzt nachläd.
Also in einer für HipHop etwas seltsamen Not: nach vs. den CDU-Rat der Stadt Lüdenscheid - der ihnen ebd. ein Auftrittsverbot bescherrte, vs. die deutsche HipHop-Community - die AA vorwarf, sie seien a. nicht von Anfang dabei gewesen und b. B-Boys ja schonmal gar nicht - weil der ja spraye und rappe und deejaye und breake, etc., jetzt auf ihrem Doppelalbum "Anarchophobia" (Community/TribeHaus/I.R.S.) ein Text vs. die neuesten Vorwürfe aus anarchistischen Zusammenhängen - sie würden DIE Szene nicht kennen, sie seien ja keine Anarchisten,...
Wie gesagt: ein Text, wie auch zuvor (in Punt(punkt), in Interviews, in Pressemitteilungen,...). Kein Rap, kein Battlen, kein Dissen. Ihre Raps erzählen dann mehr von eifrigem Zeitungslesen, Zusammenhänge kapieren wollen und die dann Anderen/der Community vermitteln.
Wenn einem der politsche Anspruch aber so wichtig ist, dann erstaunt schon, daß kaum Bezug genommen wird zu aktuellen kulturpolitischen Positionen, Debatten und Diskursen. Wo beispielsweise bei Anarchist Academy - von Public Enemy inspiriert - "Burn Hollywood Burn" zu einem "Bundestag Brenn!" wird. Und dann zwischendurch ein bürgerliches Subjekt Marion Gräfin von Dönhoff's "Keiner kann mehr eine Ballade, schade" mit lyrischen Sprengseln aus dem sozialliberalen Topf beantwortet: d.h. letztes Mal Enzensberger (...), dieses Mal Brecht, Benn und Celan. Das soll jetzt nicht heißen, daß die Platte scheiße ist, ist sie nämlich nicht, auch die Musik ist an richtig guten Gefielden dran, aber es ist halt schon eher die Scheibe für die Terz-LeserInnen, die immer nur Magazin und Schwerpunkt, nie aber den Kulturteil lesen.

Das fliegende Klassenzimmer (mit "Blacky" Fuchsberger)
Weniger Probleme mit übergreifenden Culturepolitics macht sich die zur Zeit tourende DIE KLASSE VON '95. (13.4. in Köln, 21.4. in Dorsten und 24.5. in Issum. Checkt den Programmteil.) Gleichnamige Compilation (MZEE/Efa) zeigt, daß es hier primär um das Ausdifferenzieren von ästhetischen Positionen innerhalb der Community geht: also den guten flow, den guten Reim und den dopen Beat; der bunte Blick in unterschiedliche Szenen reicht über Gerappel und Ringel-Naz schonmal bis zum Polithop, in erster Linie aber reden hier Party und Style (u.a. RENE, COOLE SÄUE, MAIN CONCEPT, STIEBER TWINS, FETTES BROT, MASSIVE TÖNE,...).
Mit im Boot DER TOBY UND DAS BO. Von denen gleich noch Doppelvinyl. Sind zwar die Lieblinge vom Idioten Stefan Raab, im Unterschied zu dem machen sie aber ihre Späße nicht auf Kosten von eh schon Marginalisierten. "Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander" (Yo Mama/ EWM) deliert zwischen Helge Schneider und Nico Haupt und packt vertrackte Reime + Un-Fug auf fette Beats: "Das macht voll Spaß, eh. Oh, schade, jetzt bin ich tot. - Ja macht nix". Kinderzimmer Productions - wenn's die nicht schon in Ulm geben würde.
Bei Freestyle sich in Blödheit übertrumpfend, aber ein ganz gutes Minialbum hinlegen die MASSIVE TÖNE. Heißt "...dichter in Stuttgart" (MZEE/ Efa) und da sind sie natürlich her. Nette, etwas belanglose Texte, die aber locker gereimt, gerappt, funky und fett garantiert mit 3p mehr Bass. (MZEE/Efa)
Nicht mit auf Tour sind A REAL DOPE THING. Deren EP "take the rough with the smooth" (MZEE/Efa) will sich, Galliano und Guru in leerer Schönheit übertrumpfen. Ab in die Jazzkantine.
Und nach der Schule "studieren und arbeiten ... in Frankfurt." (Info) Das tun dort MAHMUT, VOLKAN T, MURAT und KMR, allesamt Mitstreiter des Turkish Hip Hop Albums (Looptown, Efa). Zu den türkischen Texten gibts englische Kurz-Zusammenfassungen: die erzählen von Umweltzerstörung, Krieg, Industrie, Media-Overkill, Kapitalismus und -klar- Fremdenfeindlichkeit resp. Fremd-im-(eigenen)-Land-sein. Das Instrumentalstück heißt "scratch against silence". Yo!
By the way: gibt's in Deutschland eigentlich außer Cora und Schwester S keine Frauen im HipHop? (04 1995)


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... top.

"Öffne hierbei die Ohren recht weit und horche dem erzeugten Ton nach!
Spiele lange, gutklingende Töne; prüfe den Wohlklang durch aufmerksames Hinhören!"

(Leni Nelissen-Nicolai)

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